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Symbolfoto: Das AIT ist Österreichs größte außeruniversitäre Forschungseinrichtung

Jahrbuch "Discussing Technology" des AIT zum Thema Transformation

17.08.2023

Anlässlich des Europäischen Forums Alpbach gibt das AIT bereits zum siebten Mal ein Jahrbuch heraus. Das diesjährige Thema lautet „Shaping the Green and Digital Transformation“. Als wissenschaftlichen Auftakt zu den Diskussionen beim Europäischen Forum Alpbach gibt das AIT Austrian Institute of Technology - bereits zum siebenten Mal - das Jahrbuch „Discussing Technology“ heraus. Dieses Jahr widmet sich das Jahrbuch dem Thema „Shaping the Green and Digital Transformation“.

Die Welt befindet sich in einem tiefgreifenden Transformationsprozess. Die EU hat für die digitale und die „grüne“ Transformation, die sich derzeit parallel vollziehen, den Begriff „Twin Transition" geprägt. Es geht darum, die CO2-Emissionen und den Ressourcenverbrauch zu reduzieren und gleichzeitig durch Digitalisierung eine nachhaltigere und effizientere Lebens-, Arbeits- und Produktionsweise zu ermöglichen.

Dies bringt komplexe Veränderungen mit sich und erfordert zahlreiche Innovationen.

In den Beiträgen von Hannes Androsch, Gudrun Haindlmaier, Wolfgang Hribernik, Martin Kugler, Karl-Heinz Leitner, Helmut Leopold, Alexandra Millonig, Petra Schaper Rinkel und Matthias Weber werden neben übergreifenden Aspekten zahlreiche spezifische Bereiche diskutiert, in denen sich die Transformation manifestiert - von der „Energiewende“ und einer intelligenten Urbanisierung über neue Formen der Mobilität und Produktion bis hin zu Themen wie Kreislaufwirtschaft, Geopolitik und der Rolle der Wissenschaften und Künste. Dabei werden insbesondere aktuelle Entwicklungstrends und Gestaltungsmöglichkeiten der Transformation beleuchtet.


Inhaltliche Schwerpunkte

Vorwort / Geopolitik

Hannes Androsch argumentiert im Vorwort des Jahrbuchs, dass eine gelingende ökologische und digitale Transformation („Twin Transition“) eine zentrale Voraussetzung für die Lösung der „Tragödie der planetarischen Allmende“ ist - also für eine Vorsorge für die planetarischen Gemeingüter (wie Atmosphäre, Ozeane, Wasserversorgung, Wälder etc. Gegenwärtig gibt es niemanden, der sich über seine eigenen Interessen hinaus um die Gesamtinteressen des Planeten kümmert. Geopolitisch ist die Welt derzeit vom Ringen zwischen China und den USA um die Vorherrschaft geprägt. Für Europa bietet eine erfolgreiche „Twin Transition“ die Chance, seine Rolle in der Welt zu festigen oder sogar zu verbessern. Technologien spielen dabei eine entscheidende Rolle - zum einen, weil sie das Potenzial zur Lösung vieler globaler Herausforderungen haben, zum anderen, weil Technologien zunehmend zum Gegenstand geopolitischer Auseinandersetzungen werden: Wer heute technologisch die Nase vorn hat, (wird) die Welt in Zukunft prägen.

Dynamik und Steuerung von Transformationen

Der Innovationsforscher Matthias Weber erläutert, dass Transformationen immer dann entstehen, wenn die Spannungen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Entwicklungen - etwa technologischen, ökonomischen oder sozialen - zu groß werden. Dies kann sich entweder in massiven Systemstörungen oder gar Systemzusammenbrüchen äußern, die wiederum größere Veränderungen im Gesellschafts- und Wirtschaftssystem erzwingen bzw. die Bereitschaft zu strukturellen Veränderungen ermöglichen. Oder es wird bewusst und vorausschauend versucht, Systeme strukturell und institutionell so anzupassen, dass es nicht zu Systemstörungen kommt. Man kann Transformationen nicht im Detail kontrollieren und steuern. Aber man kann gewisse Leitplanken definieren, zwischen denen Raum für eine dynamische Entwicklung ist, in der Neues entstehen kann.

Urbane Transformation

Urbane Räume spielen bei Transformationen eine große Rolle. In den Augen der Stadtforscherin Gudrun Haindlmaier liegt das daran, dass in Städten relativ leicht kritische Massen für Veränderungen erreicht werden können - wobei der direkte Kontakt zwischen Menschen und ein entsprechender Handlungsdruck wesentlich sind. Ziel müssen tiefgreifende Veränderungen auf der Prozess- und Strukturebene sein. Um urbane Transformationsprozesse zu unterstützen, wurde in den letzten Jahren eine Reihe von Instrumenten entwickelt, deren Kern die Beteiligung unterschiedlichster Stakeholder und Akteure ist. Entscheidend für den Erfolg ist die Einbindung von Multiplikatoren und „Gatekeepern“ für bestimmte Zielgruppen. 

Energiewende

Beim laufenden Umbau unseres Energiesystems („Energiewende“) ist in den Augen des Energieforschers Wolfgang Hribernik der nächste wichtige Schritt die Zusammenführung der vielen verschiedenen Sektoren. Neben dem beschlossenen Ausstieg aus Kohle und Öl bedeutet der aktuell notwendige Ausstieg aus Erdgas eine starke Elektrifizierung. Dies ist einerseits eine Herausforderung für den Ausbau der erneuerbaren Energien und der entsprechenden Infrastruktur. Zum anderen kommt es zu einer verstärkten Sektorkopplung - etwa zwischen Strom und Wärme (über Wärmepumpen) oder zwischen Energie und Prozessstoffen (wie Wasserstoff oder CO2-Nutzung). In allen Bereichen - vom Verkehr über Gebäude bis zur Industrie - sind starke Eingriffe in bestehende Infrastrukturen erforderlich. In großen Forschungsprojekten wie der Innovationsallianz NEFI (New Energy for Industry) werden derzeit konkrete Technologien erprobt und Roadmaps bzw. Transformationspfade entwickelt.

Mobilitätswende

Die Mobilitätsforscherin Alexandra Millonig weist darauf hin, dass die Transformation des Mobilitätssystems („Mobilitätswende“) eine gewaltige Aufgabe ist, deren Ausmaß und Dringlichkeit vielen Menschen noch nicht bewusst ist. Denn die notwendige starke Reduktion der CO2-Emissionen kann nicht allein durch den Umstieg auf emissionsarme oder emissionsfreie Verkehrsmittel erreicht werden. Vielmehr ist ein viel breiterer Blick auf Mobilität notwendig - auf die Fragen, warum wir überhaupt weite Wege zurücklegen und wie wir die täglichen Wege minimieren können. In zahlreichen Forschungsprojekten wurden individuelle Mobilitätsbudgets und Mindestmobilitätsstandards entwickelt, die mit den Klimazielen vereinbar sind. Oberste Priorität bei der „Mobilitätswende“ hat in den Augen von Millonig die Verbesserung der lokalen Erreichbarkeit für alltägliche Dinge (inklusive einer möglichen Verlagerung ins Virtuelle). Der dann noch verbleibende Mobilitätsbedarf müsse dann möglichst nachhaltig gedeckt werden.

Digitale Transformation

Für den Digitalisierungsexperten Helmut Leopold geht es bei der laufenden digitalen Transformation weniger um komplizierte Technik, sondern vielmehr darum, Technik so zu gestalten, dass sie einen echten Mehrwert bringt. Entscheidend ist also die Gestaltung der Technik und deren richtiger Einsatz („Technology Shaping“). Als größten Feind einer vernünftigen digitalen Transformation sieht Leopold die Angst vor der Veränderung. Vielmehr müsse man sich mit den Technologien auseinandersetzen und Know-how für einen souveränen Umgang mit den Technologien aufbauen. Dazu brauche es eine intensive Zusammenarbeit aller Beteiligten. Solche Ökosysteme von Menschen, Institutionen und Organisationen mit ähnlichen Interessen, einer gewissen Risikobereitschaft und einem gemeinsamen Gestaltungswillen seien zudem wesentliche Innovationstreiber, um die bestehende Abhängigkeit von chinesischen und US-amerikanischen Technologiekonzernen zu mildern und die Technologiesouveränität Europas zu erhöhen.

Industrieller Wandel

Die Ziele der Dekarbonisierung erfordern eine große Transformation der Industrie. Der Innovationsforscher Karl-Heinz Leitner sieht dabei große Unterschiede zum bisher verstandenen „industriellen Wandel“: Zum einen geht es nun um einen gezielten Umbau der Produktion und aller Prozesse unter hohem Zeitdruck - Treiber sind Politik und Kunden. Zum anderen sind viele Branchen gleichzeitig, aber in unterschiedlicher Weise gefordert. Zudem erfordert die industrielle Transformation den Aufbau neuer Infrastrukturen und die Koordination unterschiedlicher Politikfelder. Leitner plädiert dafür, diesen komplexen Systemwandel auch als Chance zu begreifen, um mit den neuen Prozessen auch Produktinnovationen zu entwickeln, mit denen neue Märkte erschlossen und die notwendigen Investitionen finanziert werden können. Die österreichische Industrie sei für diese Transformation gut aufgestellt, so Leitner. Sorgen müssten sich allerdings jene Unternehmen machen, die bisher wenig oder gar nicht innovativ waren.

Wissenschaft und Künste entwerfen Optionen für die Zukunft

Die Innovationsforscherin und designierte Rektorin der Universität für angewandte Kunst Wien, Petra Schaper-Rinkel, sieht ein integratives Weltverständnis, das aus den Wissenschaften und Künsten generiert werden kann, als wesentlich für die Gestaltung der anstehenden Transformationen. Sie plädiert dafür, Wissenschaften (einschließlich ihrer produktiven Kontroversen) nicht nur als Methoden systematischer Wissensproduktion zu verstehen, sondern auch als kreative und erfinderische Praktiken, um nachhaltige und demokratische Zukunftsoptionen zu entwickeln. Solche „Zukünfte“ bilden die Grundlage für die Gestaltung sozio-technischer Transformations- und Innovationspfade. Dieser wissenschaftlich und künstlerisch gestützten Spekulation sollte Raum gegeben werden. Als wichtige Transformationshilfe regt Schaper Rinkel offene und öffentliche algorithmische Plattformen an.

Bisher erschienene Jahrbücher der Reihe Discussing Technology

  • 2017: Digitalisierung
  • 2018: Künstliche Intelligenz
  • 2019: Cybersicherheit
  • 2020: Komplexe Systeme
  • 2021: Menschzentrierte Innovation
  • 2022: KI anwenden

Kostenloser Download des Jahrbuchs „Discussing Technology“ 2023 (sowie aller in den vergangenen Jahren erschienen Jahrbücher) unter https://www.ait.ac.at/news-events/ait-alpbach-2023

Buchpräsentation am 16. August