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Symbolfoto: Das AIT ist Österreichs größte außeruniversitäre Forschungseinrichtung

Zeitreise 2.0 – Neue Suchmaschine als Tor zur Antiken Welt

09.10.2013
Die Geschichte der Menschheit wird durch neue Technologie für jeden zugänglich

Geographische Orte aus der Antike und deren Veränderungen über die Jahrhunderte  hinweg werden mittels einer neuen Suchmaschine online wieder sichtbar. „Verlorenes“ Wissen sowie das wechselnde Schicksal historischer Orte und Städte werden künftig mit Hilfe von historischen Karten und Dokumenten in noch nie da gewesener Tiefe erkundet werden können. Ein internationales Forscherteam rund um ExpertInnen des AIT Austrian Institute of Technology arbeitet gemeinsam  mit der University of Southampton und der Open University (Großbritannien) an einer Suchmaschine, die Zeit und Raum für jedermann greifbar und unser kulturelles Erbe dadurch für die Nachwelt einfach zugänglich machen soll. Die Suchmaschine wird im Rahmen des Projekts Pelagios 3: Early Geospatial Documents unter der Leitung des Archäologen Dr. Leif Isaksen (University of Southampton) entwickelt.

„Benutzer werden einen Ortsnamen in eine Suchmaschine auf der Pelagios Webseite tippen können, und mit einem Mausklick erhalten sie einen ‘digitalen Ortsindex mit Links zu Landkarten und Texten -  datiert vor dem Jahr 1492. Je mehr Ergebnisse in der Datenbank verfügbar sind, desto umfassender lässt sich nachvollziehen, wie sich ein Ort über die Zeit verändert hat, und wie er von Zeitgenossen gesehen und beschrieben wurde”, erklärt Isaksen. „So ist zum Beispiel bemerkenswert, dass Claudius Ptolemäus, ein römischer Astronom, London als einen seiner zentralen Referenzpunkte für globale Zeitzonen im späten 2. Jahrhundert verwendete, genau wie wir es heute tun“.

Die Suchmaschine wird Ortsangaben –und erwähnungen aus lateinischen, griechischen und arabischen Dokumenten vor dem Jahr 1492, darüber hinaus aus mittelalterlichen Mappaemundi und Portolan Seekarten, sowie Landkarten aus dem mittelalterlichen China identifizieren können und dazu Querverweise zu digitalen Ortsregistern erzeugen. Dadurch wird es erstmals möglich sein, sowohl Inhalte von Karten, als auch von Texten miteinander zu vergleichen, um z.B. zu ermitteln, wie sich Ortsnamen über die Zeit hinweg entwickelt haben oder wie und wann genau neue Orte in den jeweiligen Quellen zum ersten Mal erwähnt werden.

Wiederentdeckung sagenhafter Orte
Eine weitere Besonderheit – viele Ortsnamen aus frühen Dokumenten sind obskur, erfunden oder existierten nur in der populären oder religiösen Vorstellung einer bestimmten Epoche. Auch vor diesem Hintergrund möchte das Projekt dabei helfen, die spannenden Biographien historischer Orte aus vergangenen Zeiten für die Zukunft noch detaillierter zu entschlüsseln. „Die erstmalige Verknüpfung einer solchen Vielfalt an Daten“, so Isaksen, „ermöglicht es uns gewissermaßen, das Weltverständnis der Menschen damals – mit all seinen Kontinuitäten und Diskontinuitäten – nachvollziehbar zu machen. Nicht minder spannend ist, dass man eine Vielzahl ganz verschiedener Fragmente der Lebensgeschichte eines bestimmten Ortes auf einen Blick zur Verfügung haben wird: seine Verbindungen mit anderen Orten, seine Geschichten, seine Darstellungen.“

Dr. Elton Barker, Dozent für antike griechische Literatur und Kultur an der Open University fügt hinzu: “Orte sind viel mehr als nur Punkte auf einer Landkarte. In der heutigen Zeit sind wir an eine bestimmte Darstellung der Welt gewöhnt; eine Art von ‚Wahrheit‘, die durch moderne Technologien wie Google Earth stark in unserer Wahrnehmung verankert ist. Die in Pelagios 3 bearbeiteten Dokumente waren nicht nur die ‚Wahrheit‘ für die Menschen jener Zeit – insofern als sie deren Vorstellungen über die Welt um sie herum ausdrückten – sie haben auch heute noch immensen Wert für uns; nicht zuletzt weil sie die Veränderung von Orten über die Jahrhunderte und deren wechselnde Beziehungen untereinander dokumentieren.“

„Technisch stellt uns das Projekt vor ganz neue Herausforderungen“, erklärt Dr. Rainer Simon, Informatiker der Forschungsgruppe „Next Generation Content Management Systems“ am AIT Safety & Security Department. „Optische Texterkennung – ein computerbasiertes Verfahren zur vollautomatischen Erkennung von Texten in digitalen Bildern, auch bekannt als ‚OCR‘, ist für den Einsatz mit mittelalterlichen Handschriften ungeeignet. Wir entwickeln daher völlig neue, halbautomatische Verfahren, die mittels Kombination von modernster Bildverarbeitung und statistischen Methoden unseren Expertinnen und Experten so viel wie möglich von der aufwändigen manuellen Transkriptionsarbeit abnehmen werden, indem sie zum Beispiel die Positionen von Schriftzügen auf einer Karte automatisch vorselektieren, und auf Basis ähnlicher Karten sowie anderen, von Experten bereits bestätigten, Orten selbstständig plausible Transkriptionen vorschlagen.“

Dr. Leif Isaksen, Dr. Elton Barker und Dr. Rainer Simon arbeiten mit ExpertInnen der British Library, der Queen Mary University of London, dem King‘s College London, den Universitäten von Portsmouth und Edinburgh, der New York University, sowie der Drew und der Harvard University zusammen. Pelagios 3 wird mit einem Förderbudget von $494,000 von der Andrew W. Mellon Foundation unterstützt. www.mellon.org

Österreichisches Know How für Online-Suchmaschinen mit kollektiver Intelligenz
Das AIT hat sich mit dem Forschungsschwerpunkt Next Generation Content Management Systems auf dem Gebiet des Managements großer und komplexer Datenmengen über lange Zeiträume hinweg in den letzten Jahren international erfolgreich positioniert. Das AIT-Expertenteam rund um Dr. Ross King untersucht verschiedenste Aspekte des Digital Information Life Cycle, von der Aufnahme digitaler Objekte in Archive über die Langzeitspeicherung und Archivierung bis hin zu neuesten Methoden für die Suche nach und den Zugriff auf die archivierten Daten.

Links:

  • Next Generation Content Management Systems @ AIT