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Symbolfoto: Das AIT ist Österreichs größte außeruniversitäre Forschungseinrichtung

Herzinsuffizienz: Telemedizinische Betreuung von Hochrisiko-Patienten soll Behandlung und Prognose verbessern

14.03.2013
Pressegespräch: Herzschwäche – Bessere Prognose durch Telemedizin; 14. 3. 2013, 1010 Wien

Wien/Graz, Donnerstag, 14. März 2013 – Die telemedizinische Betreuung von Menschen mit Herzinsuffizienz (HI, „Herzschwäche“) mittels Mobil-Telefon („Smartphone“) und „Near Field Communication“-Technologie soll die Überwachung der Patienten zu Hause verbessern, ihre Behandlung optimieren, Verschlechterungen der Krankheit verhindern und damit erneute stationäre Aufnahmen vermeiden. Mit INTENSE-HF (INtegrated TElemonitoring and Nurse Support Evaluation in Heart Failure) startet jetzt die bisher größte in Österreich durchgeführte Studie zur Telemedizin bei HI. Diese Studie der MedUni Graz mit mehr als 300 TeilnehmerInnen wird in Kooperation mit dem Ludwig Boltzmann Institut für Translationale Herzinsuffizienzforschung (LBI.HF) durchgeführt.

Ein Schwerpunkt der Tätigkeit des LBI.HF ist die Versorgung von HI-Patienten, die wegen einer Verschlechterung dieser Krankheit soeben aus dem Krankenhaus entlassen wurden und ein sehr hohes Sterberisiko haben. „Hier untersuchen wir neue Ansätze, z. B. in Form einer telemedizinischen Betreuung“, sagt LBI.HF-Direktor Univ.-Prof. Dr. Burkert Pieske (Leiter der Klin. Abt. für Kardiologie an der MedUni Graz, Präsident der Österreichischen Kardiologengesellschaft) bei einem Pressegespräch in Wien. „Die mit Hilfe von Telemonitoring möglich gewordene enge Zusammenarbeit zwischen Patient und Arzt soll es ermöglichen, bei diesen Patienten so rechtzeitig gegen zu steuern, dass eine neuerliche Verschlechterung der Krankheit verhindert werden kann.“

In der INTENSE-HF-Studie werden HI-Patienten unmittelbar nach der Entlassung aus dem Krankenhaus in das Telemonitoring-System aufgenommen. Sie bekommen ein Telemonitoring-Set mit Blutdruckmessgerät, Körperwaage, Mobiltelefon und Symbolkarte und werden eingeschult. Mit telemedizinischer Unterstützung übermitteln sie täglich via Smartphone und „Near Field Communication“-Technologie – mit ihr ist die Übertragung der Daten z. B. vom Blutdruckmessgerät auf das Mobiltelefon ohne Zutun des Patienten möglich – ihre Vital-Parameter (Blutdruck, Puls, Gewicht) und bestätigen die Einnahme der ausgewählten kardioaktiven Medikamente an die Monitoring-Zentrale. Die automatische Überwachung individueller Grenzwerte führt bei Über- oder Unterschreitung zu einer Meldung an den betreuenden Arzt zum Beispiel per E-Mail oder SMS.

„Eine neuartige Software analysiert die Daten und gibt dem Studienarzt Hinweise zur weiteren Verbesserung der HI-Behandlung“, sagt Univ.-Prof. Dr. Friedrich Fruhwald (Key Researcher Telemedicine, LBI.HF, Klin. Abt. für Kardiologie der MedUni Graz). „Ist zum Beispiel der Puls an fünf von sieben aufeinanderfolgenden Tagen erhöht, bekommt der Arzt den Vorschlag übermittelt, dass gemäß den Guidelines der Europäischen Kardiologengesellschaft eine Dosissteigerung des Betablockers überlegenswert wäre. Analoges gibt es für den Blutdruck mit ACE-Hemmern, und für das Körpergewicht, wobei hier vor allem auf rasche, innerhalb von zwei Tagen auftretende Schwankungen reagiert wird.“ Ob der Arzt diese Empfehlung übernimmt oder nicht, ist seine Entscheidung. Prof. Fruhwald: „Er muss diese aber auf jeden Fall dokumentieren.“

Feedback-Mechanismen und geschlossener Monitoring-Kreislauf verbessern Compliance

Über das WEB-Interface kann die betreuende Person auch eine persönliche Feedback-Nachricht verfassen und diese an das Endgerät des Patienten übermitteln. Eine integrierte Lesebestätigung gibt dem Betreuer die Gewissheit, dass die Nachricht beim Patienten angekommen ist.

„Die Compliance ist für eine wirksame Therapie von Patienten mit chronischen Erkrankungen sehr bedeutsam. Die Erfahrungen mit Telemonitoring zeigen, dass Patienten die Vorteile eines geschlossenen Monitoring-Kreislaufs verstehen und annehmen, was sich in einer verbesserten Therapietreue ausdrückt“, so Prof. Pieske. Im Falle von fehlenden Werten kann die integrierte Erinnerungsfunktion Patienten z. B. an die Einnahme von Medikamenten oder die Durchführung von Übungen erinnern. Diese Erinnerungen werden am Benutzerterminal grafisch und akustisch angezeigt.

Herzinsuffizienz – eine große Herausforderung für die moderne Herzmedizin

HI stellt die moderne Herz-Medizin vor besondere Herausforderungen. HI – in Österreich sind etwa 300.000 Menschen daran erkrankt – beeinträchtigt die Lebensqualität massiv bis hin zur Invalidität. 50 Prozent der Menschen mit der Diagnose HI sterben innerhalb von 4 Jahren, über 50 Prozent der Menschen mit „schwerer“ HI innerhalb eines Jahres. Bei HI kommt es 6-mal bis 9-mal so häufig zu einem tödlichen Herzstillstand, wie bei gesunden Menschen.

Erschwerend wirkt sich aus, dass es zwei Formen von HI gibt: Die systolische HI, bei der die Pumpkraft vermindert ist, und die diastolische HI, bei der sich das versteifte Herz nicht mehr mit Blut füllt. Klinisch sind die beiden Formen nicht voneinander zu unterscheiden. Typische Symptome sind Atemnot bei Belastung, reduzierte körperliche Leistungsfähigkeit, Wassereinlagerungen (Ödeme), eventuell Herzrhythmusstörungen. Während Medikamente bei der systolischen HI die Lebensqualität verbessern und die Lebenserwartung erhöhen können, gibt es bei der diastolischen HI – jeder zweite HI-Patient leidet an dieser Form – bisher keine wirksamen Medikamente.

Weil bei fortgeschrittener HI die Herztransplantation die einzige Heilungsmöglichkeit ist, ist die Erforschung neuer Möglichkeiten zur Früherkennung, Risikoabschätzung und Behandlung der HI von großer Bedeutung. Diesen Aufgaben hat sich das LBI.HF verschrieben, ein in dieser Art einzigartiges Forschungsinstitut. „Wir erforschen erstmalig von der Zelle bis zum Menschen neue Wege zur Behandlung der HI“, so Prof. Pieske. „Das Spektrum unserer wissenschaftlichen Arbeit reicht von der Erforschung der Ursachen der HI auf zellulärer und molekularer Ebene über die Erforschung neuer Biomarker zur frühzeitigen Erkennung der HI, bis hin zur Erforschung der Betreuung zu Hause.“

Zu diesem Zweck haben sich neben der Förder- und Trägerinstitution der Ludwig Boltzmann Gesellschaft die Medizinische Universität Graz, das AIT Austrian Institut of Technology, Bayer HealthCare, die Karl-Franzens-Universität Graz, die Steiermärkische Gebietskrankenkasse, die Steiermärkische Krankenanstalten GmbH und T-Mobile zusammengetan.

Uneinheitliche Studienlage – MOBITEL zeigt signifikante Verbesserung der Therapieergebnisse

„Derzeit kann der Stellenwert der Telemedizin noch nicht endgültig beurteilt werden“, bilanziert Prof. Fruhwald. „Es gab Studien, die einen Benefit für die telemedizinische Betreuung zeigen konnten, bei anderen war das nicht möglich. Der Grund dafür dürfte in der Auswahl der Patienten und im Zeitpunkt des Betreuungsbeginns liegen. Je ‚kränker‘ das untersuchte Kollektiv war, desto eher zeigte sich ein Benefit. Je ‚gesünder‘ das Kollektiv, desto weniger konnte gefunden werden. Wohl auch deshalb, weil diese Patienten ohnehin eine gute Lebensqualität haben und bei ihnen instabile Phasen selten sind. Diese Instabilitäten sind es aber, die besonders gefährlich sind.“

Die insgesamt recht uneinheitlichen Studienergebnisse könnten unter anderem auch daran liegen, dass die bisher gewählten Arten der telemedizinischen Überwachung für das vor allem ältere Klientel nicht geeignet waren: Kommunikation per Telefon mit digitalen Wählsystemen schreckte viele Patienten ab.

Die erste in Österreich durchgeführte Studie zur telemedizinischen Betreuung von HI-Patienten war die von Graz aus durchgeführte randomisierte, multizentrische MOBITEL-Studie. Weil es damals  technisch noch nicht möglich war, die Messwerte automatisch z. B. von einem Blutdruckmesser auf das Handy zu übertragen, musste alles manuell eingetippt werden. „Entsprechend gab es Probanden, die ihre Teilnahme an dieser Studie abgebrochen haben“, so Prof. Fruhwald. „Trotzdem konnten wir zeigen, dass diese Form der Betreuung einen Benefit für Patienten bringt. MOBITEL belegt eine signifikante Verbesserung der Behandlungsergebnisse. Es wurde eine verringerte Häufigkeit und Dauer der Krankenhausaufenthalte im Vergleich zu den Patienten in der Kontrollgruppe festgestellt.“

„Ausgezeichnetes Partnerschaftsmodell für innovatives wissenschaftliches Arbeiten“

Die Ludwig Boltzmann Gesellschaft (LBG) ist eine private Trägerorganisation für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen zur Förderung und Unterstützung von Grundlagen- und angewandter Forschung. Leitgedanke der LBG ist es, geeignete Strukturen zu schaffen, um gesellschafts- und wissenschaftsrelevante Forschungsfragen zu adressieren. „Die LBG will Spitzenforschung auf höchstem Niveau initiieren und ermöglichen, und dadurch den Forschungsstandort Österreich stärken“, so Dr. Peter Mayrhofer (Bereichsleiter Medizin & Life Sciences, LBG). „Das tun wir, indem wir forschende und forschungsanwendende Partner im Rahmen eines tragfähigen Modells zu einem LBI zusammen führen. Wir sehen uns dabei als Impulsgeber und Innovatoren, und schaffen dafür die optimalen Rahmenbedingungen.“

Die Forschung der LBG spannt den Bogen von der Grundlagenforschung über die anwendungsorientierte Forschung bis hin zu Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. Dieser translationale Ansatz ermöglicht einen gegenseitigen Know-how-Fluss und eine starke Einbindung forschungsanwendender Partner.

Ein LBI ist auf eine Laufzeit von 7 Jahren eingerichtet, mit dem Ziel der Nachhaltigkeit bzw. der Integration in eine Partnerorganisation. Damit sollen bestehende Kooperationen und erarbeitetes Know-how dem Forschungsstandort Österreich erhalten bleiben. Nach dieser Innovationsphase gibt es die Möglichkeit einer Weiterführungsphase für weitere 7 Jahre, der auch ein klares Konzept für die Eingliederung in eine Partnerorganisation zugrunde liegen muss. Dr. Mayrhofer: „Das kann in Form eines neuen Schwerpunkts an einer beteiligten Partneruniversität geschehen, als Integration in ein Partnerunternehmen oder durch die Weiterführung der öffentlichen Hand. Auch Unternehmensgründungen sind möglich.“

„T-Mobile ist ‚Enabler‘ für neue Möglichkeiten im Gesundheitsbereich.“

„T-Mobile versteht sich als ‚Enabler‘ für neue Möglichkeiten, die digitale Technologien und mobile Datenverbindungen im Gesundheitsbereich eröffnen“, so Dr. Andreas Bierwirth (Vorsitzender der Geschäftsführung, T-Mobile Austria). Dazu bringt das Unternehmen zwei Kernkompetenzen ein: Das flächendeckendes Netz, mit dem T-Mobile die oft lebenswichtigen Daten verlässlich und sicher übertragen kann. Dr. Bierwirth: „Vor allem bezüglich Sicherheit erfüllen wir strenge, auch von Behörden kontrollierte Auflagen in Hinblick auf die Verschlüsselung von Daten, der sicheren Übermittlung und des Datenschutzes. Dies kann von offenen Internet-Plattformen nicht gewährleistet werden.“

Die andere Kernkompetenz ist die Evolution von Smartphones und anderen mobilen Geräten zu Universalbegleitern des Alltags, die bei gesundheitsbewusstem Lebensstil ebenso wie im Krankheitsfall unterstützen können. Dr. Bierwirth: „Zusammen mit unserer Unternehmensschwester T-Systems können wir diese Funktionen auch über medizinische Portale verbinden. Über die Portale können Patienten ihre Daten eingeben, Mediziner diese Daten überwachen und dadurch bei Bedarf rasch eingreifen und die Patienten unterstützen.“

Zahlreiche Apps aus dem Fitness- und Ernährungsbereich ermöglichen es, gesundheitsbewusst zu leben. Bei Gesundheitszubehör wie Waagen, Blutdruck- und Blutzuckermessern können Daten mit Hilfe von Smartphones gesammelt und ausgewertet werden. Die Möglichkeiten von eHealth reichen bis zur Hilfe bei chronischen Erkrankungen oder Risiken, wie in der INTENSE-HF-Studie.

„Beispielhafte Zusammenarbeit zwischen medizinischer und IT-Spitzenexpertise.“

„Das AIT besitzt eine international anerkannte Expertise im Bereich der Integration von medizinischen Versorgungsprozessen in moderne Informations- und Kommunikationstechnologien“, so DI Helmut Leopold (Head of Safety & Security Department, AIT Austrian Institute of Technology). Strategisches Ziel im AIT Safety & Security Department ist es, in enger Zusammenarbeit mit medizinisch führenden Institutionen neue Therapien und Betreuungsprozesse durch den Einsatz von innovativen Informations- und Kommunikationstechnologien, d. h. Telemedizin-Technologien, zu entwickeln und zu validieren. DI Leopold: „In diesem Kontext stehen daher bei AIT-Forschungsprojekten die Bestimmung und Überprüfung eines klaren Patienten- und Medizin-Nutzens sowie die Realisierung von Technologien mit höchsten Sicherheitsstandards im Vordergrund.“

Im Rahmen des gemeinsamen Projektes am LBI.HF wird nun medizinische Spitzenforschung mit modernsten Telemedizin-Technologien zur Entwicklung von neuen Therapie- und Betreuungsmöglichkeiten für Patienten mit HI vereint, so DI Leopold: „Mit dieser beispielhaften Zusammenarbeit zwischen medizinischer und IT-Spitzenexpertise haben wir ein interdisziplinäres Forschungsvorhaben etabliert, mit dem wir international eine Vorreiterrolle übernehmen.“

Weitere Informationen:

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Bilder: copyright bettschart.at