Brücken im Fokus: Alternde Bauwerke, steigende Anforderungen
Österreich verfügt aufgrund seiner Topografie über ein dichtes Netz an Brückenbauwerken. Viele dieser Konstruktionen sind mittlerweile über mehrere Jahrzehnte in Betrieb und erreichen in den kommenden zwanzig Jahren das Ende ihrer üblichen Lebensdauer. Gleichzeitig steigen die Verkehrsaufkommen und damit die Zahl der zu ertragenden Lastwechsel erheblich. Besonders betroffen sind Spannbetonbrücken: Ihre im Inneren des Betons liegenden Spannglieder sind korrosionsgefährdet, visuell nicht inspizierbar und stellen damit ein sicherheitsrelevantes Risiko dar.
Die Herausforderung ist doppelt: Einerseits müssen bestehende Bauwerke deutlich länger zuverlässig nutzbar bleiben, andererseits gewinnen Nachhaltigkeitsfragen im Brückenbau stark an Gewicht. Der Einsatz von Recyclingbetonen und klinkerreduzierten Zementen gilt als vielversprechend, ist jedoch noch nicht umfassend untersucht. Damit sind neue Diagnosetools, Prognosemodelle und Nachhaltigkeitsbewertungen unverzichtbar.
Projektziele: Ganzheitliche Lösungen entlang drei Entwicklungslinien
Das Forschungsprojekt NINA ((Nachhaltigkeitsoptimierte Infrastruktur) adressiert diese Problemstellungen mit einem innovativen, interdisziplinären Ansatz.
- Neue Verfahren zur Schadensdetektion
- Weiterentwicklung der Schallemissionsanalyse zur Früherkennung von Drahtbrüchen.
- Kombination mehrerer faseroptischer Messverfahren (Distributed Acoustic Sensing, Distributed Strain Sensing) für eine flächige, zuverlässige Überwachung.
- Entwicklung neuer Kriterien wie „Riss-vor-Bruch“ und Drahtbruchlückenbreitenmodell zur realitätsnahen Abbildung von Schädigungsprozessen.
- Zuverlässigkeits- und Lebensdauerbewertung
- Integration von ortsspezifischen Verkehrs- und Temperaturmodellen, die neben historischen Daten auch Klima- und Verkehrsentwicklungen berücksichtigen.
- Quantifizierung der Restlebensdauer von Brückenbauwerken auf Basis kombinierter Monitoring-Daten und Lastmodelle.
- Erweiterung bestehender Sicherheitskonzepte, um Ermüdungsverhalten und Querkrafttragreserven besser abzubilden.
- Ökobilanz und Nachhaltigkeit
- Analyse des Global Warming Potentials (GWP) unterschiedlicher Maßnahmen.
- Bewertung der Potenziale von Recyclingbeton und klinkerreduzierten Zementen im Neubau und in der Verstärkung von Brücken.
- Entwicklung systematischer Bewertungsgrundlagen, die ökologische Effekte von Bauwerksmaßnahmen inklusive verkehrsbedingter Folgeemissionen quantifizieren.
Das Ergebnis sind übertragbare Richtlinienbausteine für eine evidenzbasierte Bewertung von Spannbetonbrücken sowie neuartige Mess- und Monitoringverfahren, eingebettet in digitale Zwillinge zur Echtzeitüberwachung.
AIT-Beitrag: Präzise Modelle und systematische Nachhaltigkeitsbewertung
Das AIT Austrian Institute of Technology übernimmt im Projekt zentrale Aufgaben in den Bereichen Lastmodellierung und Ökobilanzierung.
- Verkehrsmodelle: Auf Basis von real gemessenen Achslasten werden ortsspezifische Belastungsmodelle entwickelt, die deutlich präzisere Prognosen ermöglichen als heutige Standardansätze.
- Temperaturmodelle: Mit Virtual-Sensing-Techniken lassen sich lokale Temperaturverläufe modellieren, ohne dass zusätzliche Sensoren im Bauwerk installiert werden müssen. Besonderes Augenmerk liegt auf abrupten Temperaturstürzen, wie sie etwa beim Einsturz der Carolabrücke eine Rolle spielten.
- Ökobilanzierung: Neben direkten Emissionen der eingesetzten Maßnahmen berücksichtigt die AIT-Analyse auch indirekte Effekte durch Verkehrseinflüsse – eine bislang selten betrachtete Dimension, die jedoch entscheidend für die Gesamtbewertung ist.
„Wir bringen neuartige Messverfahren, Bewertungsmodelle und Nachhaltigkeit zusammen: Mit faseroptischem Monitoring und Schallemission erkennen wir Spanndrahtbrüche frühzeitig, mit ortsspezifischen Verkehrs- und Temperaturlasten bewerten wir präziser – und mit der Ökobilanz zeigen wir, wie sich Sicherheit und Klimaschutz gemeinsam stärken lassen“, erläutert Marian Ralbovsky, Forscher am AIT und Projektleiter von NINA.
Interdisziplinäres Konsortium: Von Forschung bis Baupraxis
Für NINA arbeiten Partner aus Forschung und Industrie eng zusammen und vereinen Expertise in Bauwerksalterung, Inspektion, Messtechnik, Tragwerksbewertung, Nachhaltigkeitsanalyse und Baupraxis zu einem umfassenden Lösungsansatz. Die Partner sind:
- AIT Austrian Institute of Technology (Koordinator)
- TU Wien – Institut für Tragkonstruktion – Forschungsbereich Stahlbeton- und Massivbau
- TU Graz – Institut für Ingenieurgeodäsie und Messsysteme
- ACI Monitoring GmbH
- burtscher consulting GmbH
- PORR Bau GmbH
- Bilfinger Nuclear & Energy Transition GmbH
Gefördert wird das Projekt durch die FFG, im Rahmen des Programms Mobilitätswende 2024/2 – Mobilitätssystem.
Fazit: Brücken länger sicher und nachhaltiger nutzen
Mit dem Projekt NINA entsteht ein holistisches Forschungs- und Entwicklungsprogramm, das neue Messmethoden, Zuverlässigkeitsmodelle und Ökobilanzen zu einem durchgängigen Prozess verknüpft. Die Ergebnisse liefern praxisnahe Grundlagen für den Erhalt und die Weiterentwicklung der österreichischen Brückeninfrastruktur – sicherer, präziser und klimafreundlicher als bisher möglich.