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Wir die Dekarbonisierung der Industrie in Österreich gelingen kann

28.03.2024

Im Projekt „transform.industry“ wurden vier Szenarien entworfen, wie Österreichs Industrie bis 2040 klimaneutral wird. Ein zentrale Rolle spielen in Zukunft in jedem Fall Ökostrom und erneuerbare Gase.

Die Transformation der österreichischen Industrie ist ein zentrales Schlüsselelement, um die für Österreich geplante Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen. Derzeit ist die Industrie für ein Drittel der österreichischen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Trotz Fortschritten in jüngster Zeit in vielen Bereichen – etwa durch Effizienzsteigerungen oder den Einsatz erneuerbarer Energieträger und Wärmepumpen zur Nutzung von Abwärme – ist eine weitestgehende Dekarbonisierung in vielen Bereichen schwierig. Wie dies dennoch gelingen kann, wurde nun in der Untersuchung „transform.industry“ eingehend analysiert. 
Durchgeführt wurde die Studie im Auftrag des Klima- und Energiefonds vom AIT Austrian Institute of Technology, der AEA Austrian Energy Agency, dem Lehrstuhl für Energieverbundtechnik der Montanuniversität Leoben und dem Energieinstitut an der Johannes Kepler Universität Linz. „Das Projekt transform.industry liefert Antworten auf die Frage, wie die Transformation der Industrie in Österreich am besten gestaltet werden kann“, erläutert Brigitte Bach, Sprecherin der Geschäftsführung des AIT. „Die im Rahmen der Studie gefundenen Lösungsansätze tragen alle zum Erreichen des österreichischen Klimaziels 2040 bei“, erläutert Christian Schützenhofer, Projektkoordinator beim AIT.

Konkret wurden in dem Projekt realistische Transformationspfade für eine klimaneutrale Industrie ausgearbeitet. Untersucht wurde weiters, wie sich Klimaschutz, Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit miteinander vereinbaren lassen. Betrachtet wurde dabei 13 Industriebranchen und unterschiedlichste Technologien zur Bereitstellung von Wärme – diese reichen von Wärmepumpen über Fernwärmenetze bis hin zu Heizkesseln für erneuerbare Gase. Für die besonders herausfordernde Stahl- und Zementproduktion bzw. chemische Industrie wurden überdies neun Technologien zur Prozessumstellung herangezogen – wie etwa Elektrolichtbogenöfen, Carbon Capture mit Oxyfuel-Verfahren und Ammoniakproduktion aus „grünem“ Wasserstoff.

„Das Projekt transform.industry liefert Antworten auf die Frage, wie die Transformation der Industrie in Österreich am besten gestaltet werden kann.“

Brigitte Bach, Sprecherin der Geschäftsführung des AIT.

Entwicklung von vier Extremszenarien

Ausgehend vom Status Quo der österreichischen Industrie und eines entwickelten Verbrauchsmodells wurden vier grundlegend unterschiedliche Szenarien entwickelt, die in sich konsistent sind und alle die für 2040 gesetzten klimapolitischen Ziele erreichen. Dabei wurden bewusst nicht Szenarien modelliert, die als besonders wahrscheinlich anzusehen sind; vielmehr wurden vier Extremszenarien konstruiert und verglichen, die den Raum der Möglichkeiten in Form von maximalen Ausprägungen von Technologie und Energieträger-Anwendungen beschreiben. „Diese gewählte Methodik steigert durch die große Variation möglicher nicht-linearer Effekte die Robustheit der Ergebnisse“, erläutert Schützenhofer. 

Dies ermöglicht zum einen eine robuste Vorhersage des zukünftigen Energiebedarfs und zum anderem die Identifikation von branchenspezifischen Schlüsseltechnologien und eine Prognose der Wahrscheinlichkeit der Anwendung und Verbreitung dieser Technologien. Überdies konnten der Investitionsbedarf sowie volkswirtschaftliche und ökologische Effekte abgeschätzt werden. Das Ziel war nicht das Auswählen des besten evaluierten Szenarios, sondern die Zusammenführung der jeweils wichtigsten Erkenntnisse, um einen gesellschaftlich realisierbaren Dekarbonisierungspfad einschlagen zu können, der auf den jeweiligen Vorteilen der analysierten Szenarien aufbaut.

Konkret wurden folgende vier Extremszenarien modelliert: 

  • Erneuerbare Gase: Hier gelingt die Transformation der Industrie größtenteils durch die Bereitstellung von erneuerbaren Energien (insbesondere erneuerbares Gas) durch die Energieversorger. Die bestehende Infrastruktur kann weiter genutzt werden
  • Kreislaufwirtschaft: Hier gelingt die Transformation durch gesteigerte Materialeffizienz und höhere Recyclingquoten, wodurch die energieaufwändige Grundstoffherstellung substanziell reduziert werden kann. 
  • Innovation: Hier werden in hohem Ausmaß Best-Available und Breakthrough Technologien eingesetzt, wodurch vielfach energieeffizientere Produktionsprozesse ermöglicht werden. 
  • Sektorkopplung: Hier wird ein Optimierungsansatz verfolgt, bei dem der inländische Primärenergieverbrauch auf Basis der nachgefragten Energiedienstleistungen minimiert wird und zu diesem Zweck Energie exergetisch optimal – also in einer kaskadischen Nutzung – eingesetzt wird.

Zusammenfassend zeigten die Szenarien folgendes Bild: Bis zum Jahr 2040 steigt der Energieträgerbedarf der Industrie von derzeit rund 115 Terawattstunden (TWh) um 15 bis 24 Prozent auf 132 bis 144 TWh – der höchste Wert ergibt sich dabei beim Szenario „Erneuerbare Gase“. Generell sind zwei Pfade zur Dekarbonisierung zu erkennen, die entweder auf erneuerbaren Gasen oder auf einem Mix von Strom, Wasserstoff und Abwärme basieren.

„Der Strombedarf der Industrie wird signifikant steigen – der Ausbau erneuerbarer Energien und der dazu nötigen Infrastruktur, um diese zu transportieren, muss in den nächsten Jahren höchste Priorität haben.“

Christian Schützenhofer, Projektkoordinator transform.industry beim AIT Austrian Institute of Technology

Energiebedarf der österreichischen Industrie und die Aufteilung der benötigten Energieträger in den vier betrachteten Szenarien im Jahr 2040 – zum Vergleich der Status Quo im Jahr 2020.

Insgesamt gesehen sind die wesentlichen Säulen des künftigen Energieträgerbedarfs Elektrizität und erneuerbare Gase, die gemeinsam zwei Drittel bis drei Viertel des Verbrauchs repräsentieren. Im Detail gibt es aber große Unterschiede zwischen verschiedenen Szenarien, denn 40 bis 45 Prozent der künftigen Energieträger sind Szenario-spezifisch und somit davon abhängig, in welche Technologien zur Dekarbonisierung in den Unternehmen und Branchen investiert wird und welche Energieträger durch die Energiewirtschaft bereitgestellt werden (bzw. legislativ ermöglicht werden). 

Im Detail ergeben sich aus den verschiedenen Technologiepfaden interessante Schlüsse: So reduziert zum Beispiel ein Exergie-optimierter Energieeinsatz und ein Standort-übergreifender Austausch von Energieträgern (und die dadurch ermöglichte verstärkte Nutzung von Abwärme-Potenzialen) den Bedarf an Strom um 18 Prozent. Oder: Die Verschiebung von der Primär- zu einer Sekundärstahlproduktion bewirkt eine signifikante Reduktion des Bedarfs an erneuerbaren Gasen. 
Für die acht Branchen Aktionsplan Chemie, Eisen und Stahl, Papier, Stein/Erde/Glas, Holz, Nahrung, Bau und Fahrzeugbau wurden überdies detaillierte Aktionspläne ausgearbeitet.

Hohe Investitionen mit positiven volkswirtschaftlichen Folgen

Eine umfassende Bewertung der wirtschaftlichen Effekte der vier Szenarien zeigte, dass jedes Transformationsszenario mit signifikanten Investitionen einhergeht: Den höchsten Investitionsbedarf gibt es demnach beim Szenario Kreislaufwirtschaft (24,4 Mrd. Euro kumuliert bis 2040), den niedrigsten beim Szenario „Innovation“ (17,4 Mrd. Euro). Rund ein Drittel dieser Investitionen entfällt auf direkte Anschaffungskosten für Technologien, der Löwenanteil auf indirekte Kosten für Anlagen und die Integration der neuen Technologien. 

Durch die Investitionen werden positive volkswirtschaftliche Effekte ausgelöst: Zum einen erhöht sich das Bruttoinlandsprodukt bis 2040 um jährlich acht bis elf Mrd. Euro, und zum anderen ergibt sich ein Beschäftigungseffekt von 163.000 bis 193.000 Jobs. 

Ein zentrales Ergebnis ist, dass ein Festhalten an bestehenden Technologien mit entsprechender Abhängigkeit von bestimmten erneuerbaren Energieträgern zwar zu geringen Investitionsbedarfen für die Industrie führt, dass aber langfristig ein volkswirtschaftlicher Nachteil durch hohe Importbedarfe und den damit verbundenen Kosten und Abhängigkeiten entsteht. Unabhängig von den konkreten Ausprägungen in den einzelnen Szenarien ergibt sich in jeden Fall ein hoher Importbedarf an (erneuerbaren) Kohlenwasserstoffen und Wasserstoff. 

Die Zusammenhänge sind durchaus verwickelt: So zeigt eine Simulation, dass die – absolut sinnvolle – Nutzung von Abwärme und Umgebungswärme zwar zu einer Reduktion des Primärenergiebedarfs führt, dass aber der volkswirtschaftliche Effekt im Vergleich zu anderen Szenarien geringer ist, weil diese v. a. im Inland produzierte Energieträger (Strom und Biomasse) Vermeiden. Anders ist das bei einer forcierten Kreislaufwirtschaft: Diese reduziert einerseits den notwendigen Investitionsbedarf der Industrie zur Transformation und erhöht andererseits die Bruttowertschöpfung durch einen reduzierten Importbedarf für hochpreisige Energieträger. 

„Die Industrie der Zukunft ist eine grüne Industrie. Die Prozesse und Lösungen für diese globale Entwicklung sichern Arbeitsplätze und den Wirtschaftsstandort für die Zukunft. Auf diesem Weg ist der Einsatz neuer Technologien ebenso zentral wie auch weitere Forschung und Entwicklung“, fasste Klimaschutzministerin Leonore Gewessler die Ergebnisse der Studie bei deren öffentlicher Präsentation zusammen. Bernd Vogl, Klima- und Energiefonds-Geschäftsführer, ergänzte: „Die Ergebnisse der Studie zeigen, welche Maßnahmen und Kostenaufwendungen notwendig sind, um die Industrie zukunftsfähig und klimaneutral umzugestalten.“ 

„Die Ergebnisse der Studie transform.industry zeigen, wie eine klimafitte Industrie gelingen und dabei Österreich als Wirtschaftsstandort gestärkt werden kann.“

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler

Der Investitionsbedarf für die vier Transformationsszenarien der österreichischen Industrie ist beträchtlich.

Klare Handlungsempfehlungen

Die Forschenden haben aus den Ergebnissen einige klare Handlungsempfehlungen abgeleitet: 

  • Die in Österreich verfügbaren Energieträger, insbesondere Elektrizität und Biomasse, sollten maximal wertschöpfend genutzt werden. Das bedeutet, das die Nutzung der Energieträger nach technologischen Erfordernissen sowie nach Temperaturniveaus priorisiert werden muss (z. B. CO₂-neutrale Gase für Hochtemperaturprozesse und Deckung von stofflichen Bedarfen; Heizen und Kühlen durch Abwärme und Wärmepumpen). 
  • Aufgrund der großen und langfristigen Investitionen benötigen Industrieunternehmen zur Umstellung ihrer Technologien Planungssicherheit bezüglich der Rahmenbedingungen. Das betrifft insbesondere Sicherheit bei Energiepreisen und Verfügbarkeit, rasche Genehmigungen von Netzen und Anlagen, Klarheit bezüglich Treibhausgasbesteuerung, Infrastrukturen für den Transport CO₂-neutraler Gase sowie gesetzliche Grundlagen für den Transport und die Nutzung von CO₂. 
  • Da sich aufgrund der Elektrifizierung und der Elektrolyse der Strombedarf der Industrie bis zum Jahr 2040 verdoppeln wird, ist dem Ausbau der in Österreich vorhandenen Erneuerbaren-Potenziale sowie der Infrastruktur höchste Priorität zu schenken. 
  • Ohne Kohlenstoffabscheidung sind die Ziele nicht erreichbar. Eine Speicherung ist in Anbetracht der anfallenden Volumina nahezu immer volkswirtschaftlich günstiger als die Nutzung von Kohlenstoff, da dies energetisch viel effizienter ist. Zudem sind die anfallenden Mengen so groß, dass ein reiner Export nicht in Frage kommt. Entsprechend ist die Kohlenstoffspeicherung im Inland zu ermöglichen. 
  • Der nicht energieintensive Sektor muss die Einführung bereits weit entwickelter sektorübergreifender Technologien (z. B. Wärmepumpen) beschleunigen. Dies erfordert die Entwicklung von industrie-, standort- und innovationspolitischen Strategien und Maßnahmenpaketen. 
  • In energieintensiven Sektoren müssen spezifische Produktionstechnologien rasch weiterentwickelt und in der Folge demonstriert und breit ausgerollt werden. 
  • Bedarf für F&E und eine entsprechende öffentliche Unterstützung besteht vor allem bei der Integration und Implementierung von Technologien im industriellen Maßstab. 
  • Um die Zielsetzung in der gewünschten Zeit zu erreichen, sind neben den bestehenden regulativen Instrumenten auch positive Anreize erforderlich, wie etwa Förderungen für Investitionen und Betriebskosten – in Ergänzung zu der bestehenden (aber zur Zeitschiene inkohärenten) Besteuerung von Externalitäten. 

Die Energie-Transformation der Industrie bringt unterm Strich deutliche positive Auswirkungen auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit sich. Anfangs dominieren die Impulse durch die getätigten Investitionen, im Verlauf macht sich aber auch der Importbedarf an Materialien bemerkbar.