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Wie „Big Tech“ Österreich verändert

29.04.2025

Big-Tech-Konzerne aus den USA und aus Asien feierten in jüngster Zeit einen wahren Siegeszug – Europa blieb dabei zurück. Wie diese Entwicklung weitergehen kann und welche Handlungsoptionen es für Europa und Österreich gibt, haben AIT-Forscher in einem „Foresight Brief“ dargelegt.

Big Tech“ erobert die Welt in rasantem Tempo und verändert unser aller Leben grundlegend. Zum einen bringen uns viele neue Dienstleistungen – von Such- und Einkaufsplattformen über Soziale Netzwerke und Cloud-Services bis hin zu KI-Systemen – großen Nutzen. Zum anderen aber gibt es eine ganze Reihe von Schattenseiten, wie etwa den Umgang mit unseren Daten. Jedenfalls bringt „Big Tech“ eine dramatische Verschiebung der wirtschaftlichen Aktivitäten und der Machtverteilung auf der Welt mit sich.

Europa gerät dabei zunehmend ins Hintertreffen: Unter den 100 größten Big-Tech-Unternehmen finden sich gerade einmal elf aus Europa, das bestplatzierte auf Rang 13. In Führung sind sieben US-Konzerne, gefolgt von asiatischen Firmen. Fundierte Analysen wie zuletzt etwas der Draghi-Report sehen im Rückstand Europas bei der Digitalisierung den Hauptgrund für die im Vergleich zu den USA rückläufige Produktivität – ein Trend, der seit Mitte der 1990er-Jahre anhält.

Was könnte Europa, was könnte Österreich unternehmen, um die Position zu verbessern? Ein Grundproblem dabei ist, dass die künftige Entwicklung völlig offen ist. Wer hätte z. B. noch vor zwei Jahren gedacht, wie stark generative Künstliche Intelligenz à la Chat-GPT in unser Leben und Arbeiten eingreifen würden?

Diese Frage treibt auch Forscher:innen am AIT Austrian Institute of Technology um – kürzlich haben sie zu diesem Thema auch einen „Foresight Brief“ herausgegeben. „Wir können und müssen nicht notwendigerweise von einer Fortschreibung des status-quo bei Big Tech ausgehen, sondern es sind auch andere Zukünfte möglich. Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass sowohl die Globalisierung als auch technologische Trajektorien sich auch verlangsamen, stoppen oder sogar umkehren können“, erläutert AIT-Forscher Bernhard Dachs.

Big Tech kann nicht ohne Globalisierung existieren

Am AIT Center for Innovation Systems & Policy wurde in Workshops mit namhaften Stakeholdern aus diesem Bereich mögliche Handlungsoptionen ausgelotet. Die Basis dafür bildete eine Studie unter der Leitung von Sandro Mendonça (ISCTE Institut der Universität Lissabon) im Auftrag der Europäischen Kommission, in der mögliche Zukünfte von Big Tech in Europa in Form einer Szenario-Analyse erstellt wurden.

Diese Szenarien mit Blick auf das Jahr 2040 bauen auf zwei Dimensionen auf: Zum einen auf die zukünftige Entwicklung der Globalisierung. Denn Big Tech braucht offene, globale Märkte, in denen sich die neuen Technologien hochskalieren lassen. Die Globalisierung verliert allerdings zur Zeit deutlich an Schwung, es gibt große machtpolitische Spannungen, die Abschottung nimmt zu, es droht eine neue Blockbildung. Die zweite Dimension ist das Ausmaß, in dem Big Tech-Unternehmen weiterhin ihre dominante Position behalten und dadurch ihre Größenvorteile ausspielen können. Es ist ohne weiteres vorstellbar, dass – wie schon wiederholt in der Vergangenheit geschehen – die heute dominanten Spieler binnen kürzester Zeit von neuen Konkurrenten verdrängt werden. Diese beiden Dimensionen hängen eng miteinander zusammen: Eine de-globalisierte Welt würde auch weniger global agierende Big-Tech-Konzerne zulassen.

Aus der Kombination dieser beiden Dimensionen ergeben sich folgende vier Szenarien:

  • Winners Tech All: eine Zukunft, in der die Globalisierung weiterhin die Weltwirtschaft dominiert und Big Tech ihre Stellung auch in Zukunft bewahren kann. Die USA bleiben die einzige Supermacht und setzen die wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Agendas. In diesem Szenario bieten sich als Politikoptionen internationale Zusammenarbeit bei der Regulierung von Big Tech, eine Stärkung des Wettbewerbsrechts und Investitionen in Ausbildung und Unternehmertum an.
  • Pax Technologica nimmt eine Zukunft an, in der De-Globalisierung zu einer wirtschaftlichen Blockbildung führt, in der die Politik die Regeln des Handels bestimmt. Die Regierungen der Länder jedes Blocks schützen ihre Märkte und fördern die eigenen Big Tech-Unternehmen, sodass der Einfluss von globalen Big Tech-Konzernen auf den jeweils eigenen Wirtschaftsraum begrenzt bleibt. Hier sollte die EU verstärkt in F&E und die Entwicklung der eigenen Big Tech-Firmen sowie in Ausbildung und in riskantere Innovationen investieren.
  • Re-matching beschreibt ein Szenario, in dem die Globalisierung ihren Höhepunkt überschritten hat und de-globalisierende Tendenzen auf dem Vormarsch sind. Es gibt neue Koalitionen zwischen Regierungen, Unternehmen und der Zivilgesellschaft, die unter anderem auch die Bedeutung von Big Tech einschränken. Viele der heutigen Big Tech-Unternehmen können ihre Position nicht halten und werden durch neue Firmen verdrängt. Das Szenario legt eine aktive Industriepolitik nahe, um die Entstehung neuer digitaler Konzerne bestmöglich zu unterstützen.
  • Closet Liberalism nennt sich ein Szenario mit einer Kombination aus anhaltender Globalisierung der Märkte bei gleichzeitigem Bedeutungsverlust nationaler Regierungen. Die heutigen Big Tech-Unternehmen kommen durch neue Konkurrenten unter Druck. Digitale Technologien ermöglichen zunehmend peer-to-peer-Aktivitäten ohne zentrale vermittelnde Akteure und machen ein deutlich dezentraleres Wirtschaftsmodell möglich. In einer solchen Situation empfiehlt sich die Förderung von F&E-Aktivitäten in bestehenden Agglomerationen und die Entwicklung neuer Technologien auf Basis bestehender lokaler Kompetenzen.

„Wir können und müssen nicht notwendigerweise von einer Fortschreibung des status-quo bei Big Tech ausgehen, sondern es sind auch andere Zukünfte möglich. Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass sowohl die Globalisierung als auch technologische Trajektorien sich auch verlangsamen, stoppen oder sogar umkehren können“, erläutert Bernhard Dachs, Innovationsforscher am AIT.

Europäische Lösungen sind gefragt

So unterschiedlich die möglichen zukünftigen Entwicklungen und die spezifischen Handlungsoptionen sein mögen, so gibt es darüber hinaus einige Handlungsoptionen, die Europa in jedem Fall in eine bessere Position versetzen. Das betrifft insbesondere eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für europäische Big Tech-Unternehmen. Konkret: die Vollendung des Binnenmarktes für digitale Dienstleistungen, das Voranbringen der Kapitalmarktunion und sowie die Steigerung der Attraktivität für Talente von außerhalb der EU.

Um die Standort-Qualität für die High-Tech-Forschung zu verbessern, empfehlen die Expert:innen eine Förderung von Start-ups und akademischen Spin-offs, flexiblere Regulierungen zur Unterstützung von Innovationen sowie den Ausbau der digitalen Infrastruktur und die Förderung von deren kreativer Nutzung durch Unternehmen.

Offenheit fördert Wohlstand und Wissensfluss

Die Handlungsmöglichkeiten für die nationale Politik sind deutlich beschränkter. Die österreichische Politik könnte durch die Stärkung digitaler Inhalte in der Aus- und Weiterbildung sowie durch das Schaffen von Awareness für Datenschutz und Konsument:innenrechte zum Abbau von Ungleichgewichten beitragen.

Auf den ersten Blick scheinen die Handlungsmöglichkeiten Österreichs in Szenarien, die von einem geringeren Grad an Globalisierung und einer verstärkten Blockbildung ausgehen, größer zu sein. „Innerhalb einer abgeschotteten Europäischen Union hätte Österreich auch gute Chancen, sich zu einem wichtigen Standort für europäische Big Tech-Unternehmen zu entwickeln, denn das Land zählt schon heute zu den F&E-intensivsten Mitgliedsstaaten der EU“, so die Expertinnen und Experten.

Allerdings stehen dem zwei gravierende negative Effekte gegenüber: Zum einen ist die Wirtschaftsleistung Österreichs in hohem Maße von Importen und Exporten abhängig. Und zum anderen würde bei einer De-Globalisierung die internationalen Wissensflüsse behindert und die Qualität von Forschung – die wesentlich vom Austausch zwischen Wissenschafter:innen und Wissensbasen abhängig ist – beeinträchtigt. Daher wäre insgesamt eine Fortsetzung des Globalisierungstrends vorteilhafter für den Standort Österreich.