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Kleidungsgeschäft Symbolfoto

Smarte Textilien als Chance für die Textilindustrie

20.07.2020

Ein altehrwürdiger Industriezweig, der in den vergangenen Jahrzehnten in eine Krise gerutscht ist, könnte durch neue Technologien wieder neu an Schwung gewinnen: Smarte Sportbekleidung, innovative Medizinprodukte oder intelligente Jacken werden schon bald sehr gefragte Produkte sein. Dazu muss Know-how aus vielen verschiedenen Bereichen zusammengeführt werden.

Man mag es heute kaum glauben – aber die Textilindustrie war einst der größte Industriesektor Österreichs mit den meisten Beschäftigten. Die Unternehmen waren stets hochinnovativ und entwickelten in Vorarlberg und in Oberösterreich, aber auch im Waldviertel oder in der Steiermark prächtigst. Durch die Globalisierung hat sich das in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend verändert: Waren im Jahr 1955 noch 88 Prozent der hierzulande abgesetzten Textilien „made in Austria“, so waren es 2004 nur mehr 18 Prozent. Tendenz weiter fallend.

Die österreichische Textil- und Bekleidungsindustrie hatte 1960 noch rund 100.000 Mitarbeitende, im Jahr 2018 waren es weniger als 15.000. Die übrig gebliebenen Unternehmen haben sich auf Nischen konzentriert – etwa auf technische Textilien, als Zulieferer für Automobilproduzenten, in Richtung funktionale Sportbekleidung oder auf hochspezialisierte Fasern –, in denen sie auch ziemlich erfolgreich sind. Die Bruttowertschöpfung des Sektors hat sich in den vergangenen Jahren bei rund 700 Mio. Euro stabilisiert.

Ein T-Shirt, das den Puls fühlt

Nun taucht ein neues Zukunftsfeld am Horizont auf: sogenannte Smart Textiles“. Darunter versteht man Textilien, die durch Integration von Informationstechnologie „intelligent“ gemacht werden: Sie reagieren auf Veränderungen und passen sich an diese an. Diese Textilien enthalten Sensoren, mit denen Umweltveränderungen wahrgenommen werden, sie tauschen Daten z. B. mit Handy-Apps oder der Cloud aus, und sie verfügen in manchen Fällen über Aktuatoren, die eine gewünschte Veränderung des Textils bewirken.

Ein Beispiel ist etwa ein T-Shirt, das Puls, Atem- und Herzfrequenz sowie Geodaten registriert, ohne irgendein zusätzliches Gerät, wie etwa eine Smart Watch oder einen Brustgurt, zu benötigen; das kann beispielsweise für Sport oder für den Arbeitsschutz sehr interessant sein. Eine andere mögliche Anwendung ist Bettwäsche, die Körperflüssigkeiten (etwa Blut oder Urin) erkennt und gegebenenfalls einen automatischen Alarm an Pflegepersonal absetzt; in der Altenbetreuung oder Krankenpflege könnte das sehr hilfreich sein.

Denkbar sind viele Anwendungsbereiche: etwa automatisch kühlende Matratzen. Oder innovative Gebäudetechnik wie z. B. Feuchtigkeitsmessung auf Flachdächern, heizende oder leuchtende Wandtextilien sowie die Messung der Schneelast auf Dächern. Weiters können Gassensoren in Arbeitskleidung integriert werden, die vor Gefahren warnen. In Freizeitkleidung können Bedienungselemente z. B. für Smartphones eingebaut werden. Und Jacken für Schüler*innen oder Einsatzkräfte könnten in der Nacht selbsttätig leuchten. Ein Kleidungsstück wird dadurch im wahrsten Sinn des Wortes zu einem „Wearable“.

Fasern, die Strom erzeugen

Idealerweise sind alle dafür nötigen Funktionalitäten direkt in die Fasern bzw. Gewebe integriert. Das beginnt bei piezoelektrischen Sensorfäden, die mechanische Energie (etwa Dehnung) in Strom verwandeln, und reicht über weiche, flexible Batterien oder Energiespeicherung in Garnen, die wie Kondensatoren wirken, bis hin zu Stoffen, auf die elektronische Schaltungen oder Antennen aufgedruckt oder aufgestickt werden. Die besondere Herausforderung dabei ist, dass die intelligenten Textilien auch hinsichtlich Flexibilität, Tragekomfort, Waschbarkeit und Haltbarkeit mit herkömmlichen Stoffen mithalten können müssen – und dass sie auch am Ende ihrer Lebensdauer bei der Wiederverwertung oder Entsorgung keine Probleme verursachen.

Das weltweite Marktvolumen von „Smart Textiles“ wird für das Jahr 2030 auf eine Größenordnung von 40 Milliarden Dollar geschätzt. Auf Österreich heruntergerechnet könnte das eine jährliche Bruttowertschöpfung von 475 Millionen Euro bedeuten, haben Forscher*innen des AIT Austrian Institute of Technology in einer eben veröffentlichten Studie herausgefunden. Stellt sich die Frage, ob die heimische Textil- und Bekleidungsindustrie dieses Potenzial auch heben könnte? In mehreren Workshops wurden gemeinsam mit Branchenvertretern und Experten systematisch Status Quo, Chancen, Erwartungen und mögliche Barrieren untersucht. Als Ergebnis des Projektes wurden Voraussetzungen und Maßnahmen aufgelistet, damit Österreich im Bereich „Smart Textiles“ eine Vorreiterrolle einnehmen könnte.

Die Studie wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) durchgeführt und von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) gefördert; Unterstützung kam von der Plattform „Smart Textiles“.

Grundsätzlich sehen die Expert*innen das größte Potenzial in den Bereichen Schutz- und Einsatzkleidung, medizinische und Pflege-Textilien (inkl. Bandagen und Orthesen) sowie Sport- bzw. Outdoorbekleidung. Bei der Analyse mehrerer Szenarien zeigte sich, dass viele bestehende Unternehmen von „Smart Textiles“ profitieren könnten, wenn sie früh in Forschung und Entwicklung investieren, wenn sie sich mit relevanten Akteuren vernetzen, um fehlende eigene Kompetenzen zu ergänzen, und wenn sie sich dadurch von Wettbewerbern differenzieren können. In weniger optimistischen Szenarien schaffen es die traditionellen Unternehmen nur in geringem Ausmaß, das neue technologische Potenzial für sich zu erschließen; dafür könnte es zum Markteintritt neuer Firmen kommen, die den Smart-Textiles-Markt bedienen.

Word Cloud über das Thema smart-textiles

Zusammenarbeit zwischen Textil- und Elektroindustrie

Ein zentrales Thema dabei ist Forschung und Entwicklung: Zum einen sind die Forschungsausgaben und die Forschungskapazität in der Textilbranche vergleichsweise niedrig. „Die Firmen müssen aber jetzt, also zu einem Zeitpunkt, an dem diese Technologien noch in den Kinderschuhen stecken, investieren“, sagt Projektleiterin Beatrix Wepner vom AIT Center for Innovation Systems & Policy. Zum anderen muss Know-how in einem ganz anderen Bereich aufgebaut werden. Bisher gelinge es nicht hinreichend, die Kompetenzen für die Entwicklung von Smart Textiles zusammenzubringen, lautet ein zentraler Schluss der Studie. „Viele der identifizierten Themenbereiche können nur in enger Zusammenarbeit zwischen Textilindustrie und Elektroindustrie angegangen werden“, so Wepner. Aus Sicht der Textilindustrie fehle es derzeit an Zulieferern und Entwicklungspartnern, insbesondere aus dem Bereich der Elektronik und Software.

Nötig sei daher der Aufbau eines branchenübergreifenden „Innovationsökosystems Smart Textile“. Angeregt werden u. a. von gezielte Forschungsförderungsprogramme und die Entwicklung von „Leuchtturm-Anwendungen“, die etwa im Pflege- oder Medizinbereich die Möglichkeiten der neuen Technologien bekannt machen. Als wesentlich erachtet wird Vernetzungs- und Überzeugungsarbeit, um nicht nur Textilunternehmen, sondern auch Akteure aus anderen relevanten Branchen für das Thema zu gewinnen. Als sinnvoll erachtet wird weiters die partizipative Erarbeitung einer Smart Textiles Roadmap unter Einbeziehung von Kund*innen und Bedarfsträger*innen. Überdies könnten Ausbildungen an Technischen Universitäten, HTLs und Berufsschulen im Feld von „Electronic Textiles“ eingerichtet werden – mit dem Ziel eines eigenen Berufsbilds „Textroniker*in“.

Letztlich sollen all diese Maßnahmen zu einer Stimulation unternehmerischer Investitionen und Aktivitäten im Bereich Smart Textiles führen. „Durch die Corona-Krise hat die Textilindustrie vor Ort wieder an Bedeutung gewonnen. In Vorarlberg wurden beispielsweise ad hoc zertifizierte medizinische Mehrweg-Masken entwickelt, um die Abhängigkeit von anderen Ländern zu minimieren“, so Wepner. „Das zeigt das große Potenzial, das in Österreich vorhanden ist. Jetzt gilt es dieses zu verknüpfen und zu fördern.“