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Anlage von Takeda

Dekarbonisierung - Dampf ohne Gas

07.08.2023

Viele industrielle Produktionsprozesse sind sehr energieintensiv. Im österreichischen Innovationsverbund NEFI (New Energy for Industry) werden Verfahren entwickelt und in der Praxis demonstriert, durch die eine 100-prozentige Versorgung der Industrie mit erneuerbarer Energie möglich wird. So arbeitet etwa das AIT Austrian Institute of Technology mit dem Pharma-Produzenten Takeda zusammen, um Erdgas bei der Dampferzeugung mithilfe innovativer Wärmepumpen zu ersetzen. 

Um die Klimaschutzziele zu erreichen, spielt die Industrie zweifellos eine wichtige Rolle – immerhin benötigt die industrielle Produktion rund ein Drittel der in Österreich verbrauchten Energie. Zu zeigen, dass mit in Österreich entwickelten Technologien eine 100-prozentig erneuerbare Energieversorgung der Industrie möglich ist, ist das Ziel der Innovations- und Kooperationsplattform NEFI (New Energy for Industry). Dieser Verbund vereint derzeit, koordiniert vom AIT Austrian Institute of Technology, mehr als 125 Projektpartner in 24 Vorzeigeprojekten in sieben Bundesländern. 

Eines dieser Projekte heißt AHEAD – kurz für „Advanced Heat Pump Demonstrator“. Dabei wird am Wiener Standort des internationalen biopharmazeutischen Unternehmens Takeda erstmals eine dampferzeugende Wärmepumpe im industriellen Betrieb integriert. Wärmepumpen, mit denen ungenutzte Abwärme auf ein höheres Temperaturniveau gehoben und dadurch sinnvoll genutzt werden kann, finden bereits in vielen Bereichen Einsatz, etwa beim Heizen von Häusern oder bei industriellen Trocknungsprozessen. Bisher war es nicht möglich, derartig hohe Temperaturen zu erreichen, damit Wasserdampf für industrielle Zwecke erzeugt werden kann. Takeda benötigt für die Produktion 184 Grad heißen Dampf. Dieser wird derzeit mithilfe von Erdgas-Brennern erzeugt. 

Die Anlage des Konzerns Takeda

Beim Arzneimittel-Hersteller Takeda wird – so wie in den meisten Industriebetrieben – in der Produktion sehr viel Energie benötigt, u. a. für die Kühlung und für die Sterilisierung der Produkte.
© Takeda

Heißdampf für die Pharma-Produktion

Im AHEAD-Projekt wurde eine Hochtemperatur-Wärmepumpe entwickelt und in die Energiezentrale von Takeda integriert, die ausschließlich mit 100 Prozent natürlichen Kältemitteln betrieben wird und mit Dampfverdichtern kombiniert wird, um die bisher höchsten Wärmenutzungstemperaturen zu erreichen: Das AHEAD-System kann Temperaturen von 200 bis maximal 260 Grad Celsius erreichen. 

Eine der technischen Herausforderungen dabei ist, dass es aufgrund der hohen Temperaturen zu thermischen Problemen im Verdichter oder zu Problemen mit dem Kältemaschinenöl kommen kann. Auch sind die meisten herkömmlichen Kältemittel nicht für so hohe Temperaturen verwendbar. Eine neue, vom Projektpartner SPH Sustainable Process Heat GmbH gefertigte Wärmepumpe, kann dies. Sie wird künftig Heizungswasser – das bei Takeda per Wärmepumpen aus der Abwärme von Kühlprozessen bereitet wird – von 65 auf rund 130 Grad erwärmen und dabei verdampfen. Dieser Dampf wird schließlich auf 11 bar verdichtet und dabei auf über 184 Grad erhitzt, wie es für die Arzneimittelproduktion erforderlich ist. Dadurch sollen über das Jahr gerechnet 90 Prozent des erforderlichen Erdgases und den damit verbundene CO2-Emssionen eingespart werden, wie Harald Erös, AHEAD-Projektleiter bei Takeda, erläutert. 

Die Anlage des Konzerns Takeda

In einer kürzlich neu errichteten Energiezentrale wird die Kälte- und Wärmeversorgung der Produktion möglichst effizient aufeinander abgestimmt. Die Abwärme aus einem Bereich dient dabei als Energiequelle für einen anderen Bereich. In Zukunft wird durch das AHEAD-Projekt auch die Dampferzeugung in diesen Energieverbund eingegliedert – dadurch kann sehr viel Erdgas eingespart werden.
© Takeda

Großes Potenzial für andere Industriebereiche

Das AIT kümmert sich in den nächsten Jahren insbesondere um die optimale Nutzung dieser Technologie. „Das AIT Center for Energy wird eine optimierte Betriebsstrategie für das AHEAD-System mit einem umfassenden Systemmodell entwickeln. Für das CO₂-Einsparungspotenzial wird ein neuartiger Ansatz entwickelt. Dabei werden Prozessanforderungen und erwartete Prozessveränderungen, Lernkurven für Hochtemperatur-Wärmepumpen basierend auf den Erfahrungen des Projektes sowie statistische Daten kombiniert“, berichtet Veronika Wilk, AHEAD-Projektleiterin beim AIT. 

Weiters wird in dem Forschungsprojekt ein Konzept zur Implementierung des AHEAD-Systems für weitere Takeda-Standorte in Österreich und weltweit erstellt. Überdies wird das Dekarbonisierungspotenzial dieser Technologie für andere wichtige Industriesektoren mit hohem Energieaufwand, wie etwa Papier-, Chemie- und Lebensmittelindustrie, in Österreich untersucht. 

Die Anlage des Konzerns Takeda

In der im AHEAD-Projekt entwickelten Wärmepumpe wurden viele technische Probleme gelöst, die bisher den Einsatz bei hohen Temperaturen erschwerten. Die weitere Forschungsarbeit zielt nun auf die optimale Einbindung dieser Technologie in das Energiesystem der Produktionsanlage ab.
© Takeda

Technologien in Echtzeit im Feld erproben

Damit zeugt AHEAD eindrucksvoll vom Ziel des NEFI-Verbundes, CO2-Emissionen zu vermeiden und die Transformation des industriellen Energiesystems in Richtung Klimaneutralität zu demonstrieren. „Das Besondere an unserer Zusammenarbeit ist, dass die neuen Technologien in Echtzeit im Feld erprobt werden können – wir forschen und entwickeln sehr nahe an der unmittelbaren Umsetzung“, erläutert Wolfgang Hribernik, Leiter des AIT Center for Energy und NEFI-Verbundkoordinator. 

Veronika Wild und Harald Erös in einer Präsentationssituation

Veronika Wilk, AHEAD-Projektleiterin beim AIT, und ihr Kollege Harald Erös (Takeda) erläutern einer staunenden Zuhörerschaft, dass dank der im AHEAD-Projekt entwickelten Technologie mehr als 90 Prozent der CO2-Emissionen eingespart werden können.
© Takeda

Vielfältige NEF-Projekte

Dieser Grundsatz findet sich in allen NEFI-Aktivitäten. Hier einige Beispiele von Projekten, an denen – zusätzlich zu AHEAD – das AIT maßgeblich beteiligt ist: 

  • Im Projekt Heat Highway wird industrielle Abwärme für die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung von Regionen genutzt. 
  • EDDY – Enhanced Drying konzentriert sich auf die Optimierung der industriellen Trocknung in der landwirtschaftlichen Rohstoffindustrie und der Lebensmittelindustrie.
  • Im Zentrum von Low Pressure Steam Heat Pump (LEAP) steht die Entwicklung innovativer Integrationsmaßnahmen von Wärmepumpensystemen zur Niederdruckdampfbereitstellung aus industrieller Abwärme.
  • In envIoTcast – Environmentally Friendly Casting wird ein Konzept für eine moderne, nachhaltige „Grüne Gießerei 4.0“ entwickelt und demonstriert – mit dem Ziel, die Energieeffizienz bei Hochtemperaturprozessen (Schmelzen, Gießen usw.) zu steigern und den verbleibenden Energieverbrauch vollständig zu dekarbonisieren. 
  • Das Projekt Industry4Redispatch (I4RD) untersucht innovative, netzunterstützende Lösungen, die die Bereitstellung von Flexibilitat von der Nachfrage- und Angebotsseite auf Verteilungsnetzwerkebene ermöglichen.
  • In Clean Energy for Tourism (CE4T) wurden der Energiebedarf, die Energieeffizienz und die Nutzung erneuerbarer Energien in der Tourismusindustrie – insbesondere im Wintertourismus – optimiert. 
  • In Smart Anergy Quarter Baden (SANBA) wurde am Gelände der ehemaligen Martinek-Kaserne in Baden ein Niedertemperatur-Heiz- und Kühlnetz entwickelt, das industrielle Abwärme, Geothermie, Photovoltaik und Solarthermie nutzt. 
  • Im Projekt Cascade geht es um den Einsatz von Geothermie in der Industrie und im Fernwärmenetz. Analysiert werden tiefe und oberflächennahe geothermische Ressourcen in drei Gebieten in Oberösterreich. 
  • Die Ziele des Projekts GreenSteel sind die Entwicklung von Konzepten und technischen Lösungen, um die Stahlerzeugung zu 100 Prozent zu dekarbonisieren. Die Lösungen werden zudem an ausgewählten Standorten getestet und demonstriert. 

„Die Transformation des industriellen Energiesystems in Richtung Klimaneutralität erfordert neben neuen Einzeltechnologien auch technische und ökonomische Lösungen sowie neue regulatorische Rahmenbedingungen. Mit NEFI als aktivem Innovationsverbund können wir für all diese Aspekte in unseren Innovationsfeldern Lösungen erarbeiten“, fasst Hribernik zusammen.

Wolfgang Hribernik sitzt hinter einem Mikrofon

„Die Transformation des industriellen Energiesystems in Richtung Klimaneutralität erfordert neben neuen Einzeltechnologien auch technische und ökonomische Lösungen sowie neue regulatorische Rahmenbedingungen. Mit NEFI als aktivem Innovationsverbund können wir für all diese Aspekte in unseren Innovationsfeldern Lösungen erarbeiten. Das Besondere an unserer Zusammenarbeit ist, dass die neuen Technologien in Echtzeit im Feld erprobt werden können – wir forschen und entwickeln sehr nahe an der unmittelbaren Umsetzung“, erläutert Wolfgang Hribernik, Leiter des AIT Center for Energy und NEFI-Verbundkoordinator.
© Takeda