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Teambesprechung über ein Onlinekonferenztool

Was im Homeoffice besonders nervt

29.06.2020

Forschende des AIT Center for Technology Experience untersuchen, wie es Menschen mit der Telearbeit ergeht und wo die Probleme liegen. Ein erster Zwischenresümee der noch laufenden Studie offenbart viele positive Erfahrung, aber an einigen Stellen auch Schwierigkeiten, die dringend einer Lösung bedürfen.

Die Corona-Krise war – und ist vielerorts noch – für viele Arbeitnehmende eine besonders herausfordernde Situation. Eine Mehrzahl der Betroffenen arbeitete erstmals in ihrem Berufsleben von zu Hause aus und nutzte dabei Technologien wie etwa Videotelefonie oder Telekonferenzen, die viele bisher nur vom Hörensagen kannten. Wie erging es ihnen beim Arbeiten im Homeoffice? Wie wurde der Umgang mit technischen Hilfsmitteln erlebt? Wo drückte der Schuh? Wo gab es ernsthafte Probleme? Inwiefern veränderte sich die Interaktion der Arbeitnehmenden untereinander und mit den verwendeten Informations- und Kommunikationsmitteln? Und wie müsste eine Arbeitsumgebung gestaltet sein, damit das Arbeiten zu Hause gleich reibungslos funktioniert wie im gewohnten Büro? 

Forschende des AIT Austrian Institute of Technology wollten das genauer wissen und starteten unmittelbar nach Beginn der Corona-Beschränkungen eine Online-Studie – zum einen mit Umfragen, zum anderen mit Freiwilligen, die regelmäßig über ihren Alltag berichten. „Das Ziel der Studie ist es, aus der aktuellen Situation zu lernen, um für ähnliche Situationen in Zukunft besser gerüstet zu sein“, erläutert Manfred Tscheligi, Leiter des AIT Center for Technology Experience. „Wir wollen beispielsweise in Erfahrung bringen, über welche Kanäle in welchem Umfang informiert werden soll, wie alternative Lernmethoden und Trainings aussehen können und wie das soziale Leben in abgewandelter Form erhalten bleiben kann, um in weiterer Folge geeignete Lösungen zu erarbeiten“, ergänzt Markus Murtinger, Leiter der Competence Unit Experience Business Transformation am AIT.

Effizientes Arbeiten vs. fehlender sozialer Kontakt

Diese Studie läuft weiter, um auch längerfristige Entwicklungen abbilden zu können. Doch nun konnten die Forschenden ein erstes Zwischenresümee ziehen. Die Vorteile des Arbeitens zu Hause wurden von 57 eingehend befragten Studienteilnehmende grosso modo etwas größer beurteilt als die Nachteile. Besonders positiv empfanden sie, dass im Homeoffice konzentriertes, effizientes und ungestörtes Arbeiten möglich ist (24 Antworten), dass die Fahrtzeit zum Arbeitsweg wegfällt (16) und sie dadurch auch mehr Zeit für die Familie und Haushalt haben und besser mit ihrem Beruf vereinbaren konnten (13). Besonders negativ wurden indes arbeitsbezogene Stressoren, wie z. B. Mehrarbeit, Arbeitsintensivierung und erschwerte Konfliktlösung (17), der fehlende soziale Kontakt zu den Kolleg*innen (Stichwort: Smalltalk; 11) sowie Probleme mit technischen Arbeitsmitteln (10) angesehen.

Neben organisatorischen Schwierigkeiten zeigte sich insbesondere bei technologischen Fragen und bei der Gestaltung der Online-Tools Handlungsbedarf. 

  • Unterbrochen und gestört fühlten sich die Teilnehmenden bei ihren Arbeitsprozessen besonders durch Probleme bei der Stabilität und Geschwindigkeit der Verbindung (Internet, Zugriff auf VPN, bei Telekonferenzen) sowie durch eine vermehrte virtuelle Kommunikation und die damit verbundene Anforderung, permanent erreichbar zu sein. 
  • Als wenig befriedigend empfanden viele Studienteilnehmende, dass zahlreiche verschiedene Tools nebeneinander verwendet werden, beispielsweise Konferenztools, Protokolltools, Möglichkeiten zum gemeinsamen kreativen Arbeiten etc, diese aber nicht miteinander kompatibel sind. Dadurch kommt es auch zu dem Problem, dass diese nicht einheitlich erfassen, ob man gerade beschäftigt ist oder nicht. Dann läutet z.B. das Telefon, obwohl man sich gerade in einer Videokonferenz befindet. Gleiches gilt für die unterschiedlichsten Zugangspunkte, Adressbücher, Passwörter, Bedienelemente etc. 
  • Als besonders nervig wurde die ständige Frage „Hört ihr mich?“ bei Telekonferenzen empfunden – die Tools sollten in dieser Hinsicht automatisch Feedback geben. 
  • Als Mangel angesehen wird, dass Konferenztools keine integrierte „Speech-to-Text“-Funktion haben, die beispielsweise eine automatische Protokollführung ermöglichen würde. 
  • Als dringend erforderlich werden Möglichkeiten angesehen, virtuell Dokumente zu unterschreiben. 
  • Angeregt wurde auch die Entwicklung von Tools, um störende Bilder und Geräusche aus dem Homeoffice auszufiltern – etwa durchs Videobild huschende oder sich des Lebens freuende Kinder. 

„Uns fehlen derzeit viele wichtige Tools“, fasst Murtinger zusammen. Dennoch könnten die nun weitverbreiteten Erfahrungen mit Homeoffice einen Weg zu neuen Arbeitsformen ebnen, meint Tscheligi: zu einer „Mixed Work Reality“ – einer Interaktion zwischen realer und virtueller Welt. Dabei gibt es allerdings noch viele ungeklärte Punkte, beginnend bei der simpel klingenden Frage, was unter „Büro“ zu verstehen ist. „Die Metapher des Büros als Ort, wo man zusammenarbeitet, muss auf die Online-Welt übertragen werden“, erläutert Murtinger. Dafür sind spezifische Werkzeuge nötig – die man derzeit nicht hat. Dabei geht es beispielsweise um Ängste hinsichtlich Privacy und Datenschutz, aber auch um die Sorge von Dienstgebern, dass die Mitarbeitenden im Homeoffice nicht so viel arbeiten wie im Büro. „Im physischen Büro sieht ein Vorgesetzter / eine Vorgesetze, dass Mitarbeitende anwesend sind“, so Tscheligi. Entsprechende Online-Tools, welche die Visualisierung der realen Welt in die virtuelle Welt transformieren und ähnlich vertrauensbildend wirken, aber nicht gleich Privacy-Vorschriften verletzen, sind derzeit Mangelware.

Relevanz auch für das Bildungswesen

Solche Überlegungen sind nicht nur für die Arbeitswelt, sondern auch für das Bildungswesen höchst relevant: „Das kann auch für die Schule ein Zukunftsmodell sein“, meint Tscheligi. Nachdem das Bildungsministerium nun – in Reaktion auf die während der Zeit des Homeschoolings zu Tage getretenen Probleme – ein großes Maßnahmenpaket für die Digitalisierung von Schulen, Schüler*innen und Lehrende angekündigt hat, stellt sich auch dort die Frage nach dem richtigen Mix von Technologien, der Gestaltung der Schnittstellen und der Balance zwischen realem und virtuellem Unterricht. Auch für den „Virtual Classroom of the Future“ kann die User Experience-Forschung einiges beitragen.